Liebe Rathausbrücken-Freunde,
nachdem am 12. Januar in der Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses die Anträge zur Rathausbrücke und zur Verkehrsführung / Gestaltung Humboldtforum-Umfeld nicht abschließend beraten worden sind, hatten wir in Nachgesprächen verabredet, den Abgeordneten noch einmal einige Infos zukommen zu lassen, welche ich im hiermit weitergeleiteten Schreiben zusammengefaßt habe (s. unten).
Da von der Senatsverwaltung als fast einziges Argument die angeblich drohende Schadensersatzforderung genannt wird, habe ich diese in den Vordergrund gestellt. Die Informationen hierzu stammen von einem Fachbeamten.
Von der Parlamentsebene ist zu hören, daß die Anträge erst am 2. März beraten werden; aus der Verwaltung ist zu hören, daß die Vergabe noch nicht so schnell vollzogen wird. Wir hoffen alle, daß eine Vergabe nicht vor dem 2. März stattfindet bzw. daß sie gar nicht stattfindet. Z. Z. ist es ja ein bißchen spannend geworden, weil nicht ganz klar ist, wie gut Wowereit seinen Überraschungs-Coup mit der Vermietung von Tempelhof an die Modemesse überstehen wird. Erst danach wird wohl wieder das heiße Eisen Rathausbrücke aufgegriffen werden, das am Sonntag in der MoP und am Montag im Tsp so dargestellt wurde, daß es einen offenen Konflikt im Senat um Verkehrskonzept Humboldtforum und damit auch um Rathausbrücke gibt.
Von: Annette Ahme [mailto:ahme@ahme.de]
Gesendet: Dienstag, 3. Februar 2009 10:40
Cc: Haspel Dr, Jörg; kuehne, manfred; Gothe, Ephraim
Betreff: Rathausbruecke
An die Mitglieder des Ausschusses für Bauen und Wohnen des Abgeordnetenhauses von Berlin
An die Mitglieder des Ausschusses für Stadtentwicklung und Verkehr des Abgeordnetenhauses von Berlin
An die Mitglieder des Ausschusses für Kulturelle Angelegenheiten des Abgeordnetenhauses von Berlin
An die Mitglieder des Petitionsausschusses des Abgeordnetenhauses von Berlin
Und an weitere Verfahrensbeteiligte
Sehr geehrte Damen und Herren,
da in der Presse immmer auch über die Rathausbrücke berichtet wird – teilweise falsch – möchte ich Sie gerne über den derzeitigen Sachstand unterrichten, soweit dies die mir vorliegenden Informationen zulassen.
Wichtig: Es wird immer wieder so dargestellt, als sei der Auftrag schon vergeben. Dies trifft definitiv nicht zu.
Zur Rechtslage möchte ich aufgrund eines Gesprächs mit einem Ex-Mitarbeiter bei der Vergabestelle folgende Darstellung geben: Der "Billigste" hat beim Vergabeverfahren den Anspruch, den Auftrag zu bekommen, soweit die Prüfung ergibt, daß alle seine Angaben richtig sind und dem Erfordernis der Ausschreibung sachlich entsprechen. Wenn die Verwaltung das Vergabeverfahren nicht aufhebt (was sie auch tun könnte), hätte dieser "Billigste" (soweit die Prüfung positiv war) eventuell den Anspruch, seine Aufwendungen für die Beteiligung an der Ausschreibung (zwischen 10.000 und 20.000 Euro) sowie den entgangengen Gewinn (also ca. 3% von 9 Mio Euro = ca. 300.000 Euro) erstattet zu bekommen. Er müßte dieses aber wohl einklagen, und nicht jeder Bauträger, der auch in Zukunft mit dem Berliner Senat zusammenarbeiten möchte, wird gleich vor Gericht ziehen. D. h. es kann, muß aber nicht zu Schadensersatzansprüchen kommen. Ferner hat die Verwaltung die Möglichkeit, die Ausschreibung aufgrund neuer Erkenntnisse aufzuheben. So könnte die Verwaltung argumentieren, daß sich aufgrund der z. Z. in Bearbeitung befindlichen Verkehrsplanung für die Rathausbrücke neue Anfordernisse ergeben haben. Natürlich hat auch in diesem Falle der "Billigste" die Möglichkeit, vor Gericht zu argumentieren, daß diese Aufhebung nicht sachgerecht gewesen sei. Das sind die Risiken, also kurzgefaßt: Es kann, muß aber nicht sein, daß der "Billigste" seinen Anspruch von maximal ca. 300.000 Euro geltend macht. Ein wie mir scheint tragbares Risiko vor dem Hintergrund, daß die Realisierung des Noebel-Entwurfs eine echte Fehlplanung zu sein scheint.
Fehlplanung deshalb, weil der Noebel-Entwurf immer noch auf den Palast der Republik bezogen ist.
Fehlplanung deshalb, weil der Noebel-Entwurf mit einer überflüssigen Fußgängerunterführung die Spree unsinnigerweise weiter zusätzlich einengt. Diese Fußgängerunterführung endet in einer toten Ecke am Marstall.
Fehlplanung deshalb, weil keine der beiden Fußgängerunterführungen hat (davon eine unsinnig, weil kein Anschluß nach Süden und Norden vorhanden), behindertengerecht ist. Ich bitte Sie, diesen Sachverhalt besonders intensiv zu prüfen und dem / der Behindertenbeauftragten Ihrer Fraktion vorzulegen.
Fehlplanung deshalb, weil nicht an den Denkmalschutz für den historischen Brückenpfeiler gedacht wurde.
Fehlplanung deshalb, weil das Geländer, welches die Noebel-Brücke vorsieht, ein "Astwerk" vorsieht, welches sich auf die Urform der dort ursprünglich einmal vorhanden gewesenenen Brücke, nämlich den "Knüppeldamm" (13. und 14. Jahrhundert) bezieht. Damit wird die barocke Brücke, kunstgeschichtlich von höchster Bedeutung (erste steinerne Brücke der Mark Brandenburg, künstlerische Ausgestaltung durch die Aufstellung des weltweit gerühmten Schlüterschen Reiterstandbilds) totgeschwiegen. Das bedeutet eine völlige Verkehrung der Maßstäbe, was Ästhetik, aber auch politische Ikonographie betrifft.
Fehlplanung deshalb, weil die Spree hier durch die Reste des Palastes (tangiert nicht die "Wanne"!) künstlich um ca. 10m eingeengt ist, ein Zustand, der dringend geändert werden müßte, auch weil die herrschende Politik eine Wiederherstellung der ursprünglichen Flußbreiten anstrebt (wichtig aufgrund des gestiegenen/steigenden Grundwasserspiegels südlich von Berlin).
Fehlplanung deshalb, weil es noch kein Verkehrskonzept für das Humboldtforum und Umgebung gibt und heute noch nicht bekannt ist, welchen Verkehr die zukünftige Rathausbrücke überhaupt aufnehmen muß.
Fehlplanung deshalb, weil die jetzige Brücke als Baustellenbrücke gebraucht wird (die derzeitige Brücke hält noch 5-10 Jahre). Es macht doch keinen Sinn, jetzt eine "schöne" neue Brücke zu bauen, die dann über Jahre den Baustellenverkehr abwickeln muß. Beziehungsweise muß gefragt werden: Wie soll der Baustellenverkehr abgewickelt werden, wenn diese Brücke zwei Jahre ausfällt?
Ich bitte Sie, mir nachzusehen, falls ich Eulen nach Athen trage. Bitte bedenken Sie auch, daß bei Umfragen (z. B. Berliner Kurier: 84% pro historische Brücke) immer eine übergroße Mehrheit für die historische Gestaltung ist.
Dieser Entwurf wird den ästhetischen Anfordernissen gerecht, erlaubt die Aufstellung des Denkmals und erfüllt die Anfordernisse der Schiffahrt. Außerdem sichert dieser Entwurf den Denkmalschutz für den historischen Pfeiler, der selbst wochenlangen Bemühungen von DDR-Bausoldaten, ihn zu beseitigen, standgehalten hat. Hier ist Berlin gegründet, hier stand einmal das erste gemeinsame Rathaus.
siehe Fotomontage: Thomas D. Böhm.
Für Nachfragen stehe ich jederzeit gerne am Telefon oder per Mail zur Verfügung.
Bitte dringen Sie darauf, daß keine Vergabe stattfindet oder das Vergabeverfahren aufgehoben wird, bis das gültige Verkehrskonzept vorliegt. Bedenken Sie bitte auch, daß der Architekt Walter A. Noebel zu einer Um- bzw. Neuplanung gerne bereit wäre.
Herzlichen Dank für Ihr Interesse und
mit freundlichen Grüßen
Annette Ahme, im Auftrag der Arbeitsgruppe Rathausbrücke im Nikolaiviertel
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Später schreibt Annette Ahme:
Eine Mail hat mich auch erreicht, in der die folgende wie ich finde äußerst erwägenswerten Gedanken enthalten sind:
"Die Rathausbrücke symbolisiert mit genau diesem Pfeiler nicht nur das Herz und die Geburtszelle von Berlin: genau dieser Pfeiler IST die Geburtsstätte von Berlin.
Es wird nicht annähernd nachdrücklich dargestellt, daß es an diesem Pfeiler war, wo Berlin sein erstes Rathaus hatte. Als vereinigte Städte Berlin und Cöln gab sich die nunmehr neue Stadt Berlin ihr Rathaus in der Mitte der heutigen Rathausbrücke, die damals, als die Spree noch breit und träge, nicht eingeengt durch Uferbefestigungen war, zu Recht Lange Brücke hieß. Allein dies, ein Rathaus mitten im Fluß, ist eine seltene und geschichtlich bedeutsame Situation, die nicht oft genug erwähnt werden kann bei aller Urbanität, die man heute mit Berlin zu verbinden sucht.
Hier war nicht nur ein einfacher Brückenpfeiler gestellt worden, an dieser Stelle gab es offenbar auch einen besonders festen Untergrund. Wohl auch deswegen wurde an dieser Stelle, nach vielen Jahrhunderten immer noch hier, das Kurfürstendenkmal errichtet. Ich, 1959 geboren, kann mich erinnern, bis beinahe zum Bau des Palastes der Republik den Denkmalsockel dort sehr wohl noch gesehen zu haben. Ich bin zu der Bauzeit des Palastes jeden Tag zweimal über diese Brücke zur Schule und nach Hause gegangen und habe erlebt, wie nach dem Bau der neuen, jetzigen Brücke versucht wurde, den Restsockel über viele Monate zu beseitigen: Bausoldaten haben da, von Spundwänden vor dem Wasser geschützt, mit Presslufthämmern diesen Sockel und den Grund bearbeitet, ohne daß der Sockel tatsächlich beseitigt werden konnte, es blieb bis heute diese "Nase", im Bild nach 5 Uhr. Diese "Nase", die sich der Beseitigung durch die Presslufthämmer von DDR-Bausoldaten so wacker widersetzte, ist die Geburtsstelle Berlins, genau hier stand das gemeinsame Rathaus zwischen den beiden Mutterstädten Berlins, Berlin und Cölln."