Kommentar im Berliner Tagesspiegel
Von Christiane Peitz
16.6.2008 0:00 Uhr
Einst stand dort eine Zwingburg, errichtet gegen den Willen der Bürger. Heute ragt hier das Skelett des Palasts der Republik in den Himmel, vernichtet im Namen des Volkes. Mal ehrlich: Ist sie nicht gerade atemberaubend, diese größte Stahlskulptur der Welt?
Sie wird bald verschwunden sein, denn in der historischen Mitte Berlins ist Platz für die Zukunft. Überall im Zentrum der Hauptstadt wird geplant und gebaut, renoviert und restauriert. Und egal ob beim Stadtschloss mit dem HumboldtForum oder bei der Staatsoper, der Rathausbrücke, dem Molkenmarkt oder der Eingangshalle für die Museumsinsel – immer sagen die Berliner: Wir wollen den Zauber des Originals. Bitte die Brücke mit dem Reiterstandbild, den 1951erPseudorokoko des Opernsaals, möglichst auch etwas Mittelalter und bloß keinen Beton à la Chipperfield.
Volksbegehren und andere Proteste wecken jedenfalls den Anschein, dass die Berliner im Herzen ihrer Stadt in Zukunft vor allem Vergangenheit wollen: Kandelaber statt Peitschenmasten, Stuck statt Design und lieber die barocke Reminiszenz als Townhouses aus Glas, Farbe und Stahl. Die Wessis wollen ihr Tempelhof behalten, die Ossis ihren Paulick-Saal. Bedenkt man die Traumata des Krieges und der zweiten Zerstörung zugunsten der autogerechten Stadt in den Jahren danach, ist das Beharrungsvermögen verständlich.
Aber sind die Berliner wirklich so retro? Sind all diese Initiativen nicht vielmehr von der Leidenschaft (und Lobby-Arbeit) des Bildungsbürgertums getragen? Das Engagement der Konservativen ist zweifellos unverzichtbar für die Stadt. Aber die Gesamtheit der Berliner, dieser quicklebendigen, unberechenbaren Metropole mit ihrer hippen Boheme und den alten Kämpen, Regierenden und Studierenden, Kunstszene, Kulturschickeria und Kiezkultur, Prolls, Preußen und Multikulti vertreten sie nicht.
Alt oder neu. Was die Gretchenfrage der Architektur betrifft, ist der Berliner ja ein seltsames Wesen. Beispiel Regierungsviertel, Beispiel Hauptbahnhof: Vorher ist das Misstrauen groß, aber dann flitzt er neugierig hin, staunt, mäkelt vielleicht – und nimmt in Besitz. Angst vor Veränderung ist nicht seine Art, im Gegenteil. Die Berliner sind Weltmeister der Flexibilität. Keine andere europäische Großstadt hat sich zuletzt so grundlegend gewandelt wie Berlin seit dem Mauerfall. Und da soll, Hand aufs Herz, ausgerechnet in der historischen Mitte dieser historischen Wahrheit nicht Rechnung getragen werden?
Hier ist Weltkulturerbe, ist Prachtboulevard, ist Schlossfreiheit. Genau hier, und nicht nur abseits der Mitte, ist aber auch der Ort für Manifestationen der Gegenwart, der Vitalität und Weltoffenheit von Berlin. Deshalb geht es nicht um alte oder neue, sondern um gute oder schlechte Architektur. Avantgarde in der historischen Mitte? Ja bitte, und zwar im Verein mit Schlüter, Schinkel und Stüler.
Dass Alt und Neu großartige Verbindungen eingehen können, ist seit Norman Fosters Reichstagskuppel und dem Jüdischen Museum mit seiner Liaison von 18. Jahrhundert und Libeskind-Bau auch hier kein Geheimnis mehr. Was also spricht gegen einen hocheleganten Staatsopernsaal im Design des 21. Jahrhunderts hinter den Eingangssäulen? Zumal eh keiner weiß, welche Tradition eigentlich denkmalgeschützt werden soll: Knobelsdorff, Langhans oder der sozialistische Klassizismus.
Und es stimmt ja nicht, dass nur die Historie beglückt. Die Moderne verzaubert genauso: Wer je im Guggenheim-Museum von Bilbao war oder, um bei Frank Gehry zu bleiben, in der DZ-Bank am Pariser Platz, weiß um die Schönheit zeitgenössischer Architektur. Und Chipperfields Beton bringt die Ziegel im Neuen Museum erst richtig zum Leuchten.
Es ist an der Zeit, den oft kleinkarierten Streit zwischen Bewahrern und Erneuerern beizulegen. Es geht um Geschichts- und Gegenwartssinn, um die Identität von Berlin. Auch wenn das planerische Korsett beim Wettbewerb zum Humboldt-Forum kühne Ideen kaum noch gestattet: Für ängstliche Architektur ist in der historischen Mitte kein Platz.
(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 16.06.2008)
URL: http://www.tagesspiegel.de/zeitung/Titelseite;art692,2551835
Kommentare [ 3 ] Kommentar hinzufügen » von delattre 16.06.2008 10:06:26 Uhr
Sich Fügen
Die Position von Christiane Peitz teile ich mit Einschränkungen. Im Vordergrund der Debatten sollte eine langfristige Wiederherstellung menschlicher und maßvoller Stadträume stehen, die die Geschichte (auch die Geschichte der Juden in der historischen Mitte) nicht einfach ignoriert. Insbesondere sollte die Architektur die unterschiedlichen Bedürfnisse der Nutzer berücksichtigen und keine trendigen oder hippen Extreme realisieren. Auch eine weitere Konservierung und mediale Inszenierung der Bausünden der 60er und 70er Jahre ist nichts weiter als eine trendige Retro Veranstaltung. In dieser Frage muss meines Erachtens gestritten werden, letztendlich geht es auch um die Lebensqualität zukünftiger Generationen in der Stadt. Die Architektur so mancher "Star-Architekten" - so mein Vorwurf - orientiert sich schon lange nicht mehr am Alltag der Menschen, sondern am trendigen Auftraggeber und sucht selbstverliebt den immer extremeren Kick.
auf diesen Kommentar antworten von eduarda 16.06.2008 10:30:50 Uhr
Architektur Peitz
Erst seit der Umbau der Staatsoper diskutiert wird, fällt der Name Paulick, früher nie erwähnt. Nun verunglimpft man seinen Umbau als sozialistisch! Und was soll jetzt werden! Paßt das neu geplante moderne Innere zum Äußeren? Haben wir nicht mit der Deutschen Oper ein modernes Haus, das für die großen Opern bestens geeignet ist und wirtschaftlich geführt werden kann? Opernstiftung endlich umsetzen. Im "kleinen Haus" kiann man dann Barockoper zeigen! René Jacobs u.a. Berlin ist so arm an Historischem, Glas und Stahl sind genug vertreten, deshalb die Sehnsucht.
auf diesen Kommentar antworten von panda70 16.06.2008 15:54:44 Uhr
Bitter!
Es scheint bei der Autorin eine absolutistische, quasi-religiöse Grundhaltung zu existieren, die denjenigen, die noch ein Interesse an der Gestaltung ihrer gebauten Umwelt haben, ohne Begründung und reflexhaft Rückwärtsgewandtheit, Nostalgie und ewige Gestrigkeit unterstellen lässt. Die These, dass die Architektur des 20. Jahrhunderts eher einem Kult gleicht als einer Wissenschaft, findet wieder einmal ihre Bestätigung.
Mittwoch, 18. Juni 2008
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